Gefühlt viel zu lange haben wir über „New Work“ geredet. Während vielerorts die Farbauswahl für Sofakissen ein dominierendes Thema in den Personalabteilungen war, traf uns die Realität mit voller Wucht, als der Begriff „Basic Work“ die oft prekären Arbeitsbedingungen der blue-collar-worker in die Debatte einspielte. Dabei geht es um diejenigen, die tagtäglich Mülltonnen leeren oder Bahnhöfe säubern und deren Jobs entgegen vieler Prognosen noch lange nicht vom Roboter übernommen werden können. Jetzt sollten wir wirklich über die Zukunft der Arbeit reden. Die Zukunft der Wissensarbeit gehört dazu, ist aber in einer Industriegesellschaft nur ein Ausschnitt der Arbeitsrealität. Unser zentrales Anliegen als Bundesverband der Personalmanager*innen: Inmitten der großen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft den Blick zu weiten und dabei neue Perspektiven einzunehmen – auch und gerade im Sinne derjenigen auf dem Arbeitsmarkt, die anwaltschaftliche Fürsprache benötigen.
Wir alle in HR haben uns über die Konjunktur der ESG-Debatte gefreut. Denn ESG bietet großartige Chancen für die Zukunft der Personalarbeit und die Menschen in den Unternehmen und Organisationen. Mit ESG (Environmental, Social, Governance) schienen sich gutes Human Capital Management (HCM) und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden und dabei gleichzeitig hochgradig relevant für Investoren zu werden. Mittlerweile erleben wir Personaler*innen ESG mehr und mehr als bürokratischen Würgegriff. Statt auf HCM und People first zu setzen und ESG als Innovationstreiber zu nutzen, sehen wir vielerorts ausufernde Administration und abstrakte Kennzahlen. Wir als HR würden es gerne umgekehrt machen: erst die Ziele, dann die Messgrößen. People first eben…
Die Purpose-Diskussionen der vergangenen Jahre erwiesen sich vielfach als oberflächliches Marketing-Versprechen. Nur selten wurden sie Teil der Unternehmens-DNA. Dabei stellen sich Menschen – und damit auch Mitarbeiter*innen – in der gegenwärtigen Weltlage zunehmend existentielle Fragen, auch und gerade mit Blick auf ihr Arbeitsumfeld. Mitarbeiter*innen suchen Sinn und möchten mitwirken. Das zeigt: Wir brauchen ein neues Konzept des Bürgers im Unternehmen. Es geht uns um neue Formen von Durchlässigkeit und um die Chance, die Unternehmensgemeinschaft temporär zu verlassen und wieder aufgenommen zu werden. Es geht um das Arbeiten in Netzwerkorganisationen, mit denen man sich in den einen Arbeitsverbund integrieren kann, ohne den anderen endgültig zu verlassen. Nicht zuletzt geht es um ein neues Aufgabenverständnis in HR und darüber hinaus: Recruiting und Retention – das Finden und Binden von Talenten – ist Aufgabe für alle. Und oft ist persönliche Zuwendung viel wichtiger als ein durchdekliniertes Arbeitgeberversprechen. Damit wird Talentsicherung mehr und mehr zum Business-Case, denn alle empirischen Studien zeigen: Das Freisetzen und Finden von Mitarbeitenden ist ungleich teurer als das Halten und Weiterentwickeln von vorhandenen Talenten. Retention-Management wird damit gerade in Zeiten des wars for talents genauso wichtig wie die Kundenbindung auf externen Märkten.
Die Zunahme von hybrider Arbeit und die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt ermöglichen mehr Selbstbestimmung der Mitarbeitenden und dies bei potenziell steigender Produktivität im Wertschöpfungsprozess. Sie stellen Unternehmen und Organisationen aber auch vor Integrationsprobleme und damit die Produktivitätsgewinne aus hybrider Arbeit in Frage: Wenn alle digitalen Wissensarbeiter*innen als Einzelkämpfer auf digitalen Plattformen um den nächsten Auftrag konkurrieren und sich ihre Termine nur noch durch die Zoom-Fenster unterscheiden, entsteht kein Gemeinschaftsgefühl und damit auch keine Bindung. Mangelnde kulturelle Integration führt zu verringerter Wettbewerbsfähigkeit und letztlich zur Erosion der tradierten deutschen Unternehmen mit ihren glanzvollen Namen. Als Bundesverband der Personalmanager*innen plädieren wir im Digitalisierungsjahr 2023 für ein angemessenes Maß von face-to-face-collaboration. Dabei denken wir vor allem an den Nachwuchs im Unternehmen wie die Auszubildenden. Wir haben aber auch die sozialpartnerschaftlich wichtige Mitbestimmung im Blick, die durch die aktuelle Entwicklung stark unter Druck gerät. Gemeinsam mit unseren strategischen Partnern wollen wir „Hybrid Work“ als „New Normal“ verteidigen, aber auch eine angemessene Integration der Mitarbeitenden ins Unternehmensgeschehen sicherstellen.
Lange war sie nur eine Projektion am fernen Horizont, nun ist sie plötzlich da: Die große Transformation. Ob grüner Stahl ohne Hochöfen oder Elektroautos ohne Schaltgetriebe – die bis Ende des Jahrzehnts ablaufenden Veränderungen sind für die deutsche Wirtschaft seit Zeiten der Industrialisierung beispiellos. Dabei wird immer klarer: Transformation kommt nicht über uns. Sie wird von Menschen gemacht. Und gerade wir in HR gestalten sie selbst. Das heißt auch: Am Ende des Tages ist Transformation Handwerk. Es geht nicht um strategische Großvisionen (oder dies nur ganz am Anfang…), sondern um sehr handfeste Aufgaben wie die Professionalisierung interner Arbeitsmärkte oder eine systematische strategische Personalplanung. Wir in HR haben damit alle Hebel in der Hand, um Treiber der Transformation zu sein. Und zu diesem Auftrag bekennen wir uns.
Die pandemischen und geopolitischen Verwerfungen der letzten Monate und Jahre haben gezeigt: „Fahren auf Sicht“ ist auch für HR keine Handlungsoption mehr. Die Fragen, die uns aktuell bewegen, sind vielfach eher strategischer als operativer Natur: Wie kommen wir zu echter Resilienz – weit über die Lieferketten hinaus? Wie sichern wir angesichts des demographischen Wandels unsere zukunftskritischen Talent-Pipelines? Aber auch: Wie kommen wir zu einer „predictive HR“, die nicht mehr nur ad hoc reagiert, sondern konsequent in die Zukunft guckt – bei der Talentsicherung, bei der Zukunft der dualen Ausbildung, bei der Mitarbeiter-Retention? Data-driven HR ist sicherlich eine Antwort, aber keinesfalls die einzige. Wir brauchen in den Unternehmen auch neue Kompetenzen für geopolitische Analysen, für Lebensstilforschung, für die Deutung des demographischen Wandels. Kurz: Wir müssen die Komplexität der Welt sinnvoll zerlegen. Und dafür brauchen wir an vielen Stellen auch neue Kompetenzen in HR. Eine Aufgabe für Personaler*innen, „standing on the shoulders of giants“ (Bernard de Chartres, 1124).